Bildung, Arbeit, für was?

Die von neoliberaler Wirtschaftspolitik verursachte Verarmung des Mittelstandes und Dramatisierung der Lebens­verhältnisse der Armen wurde mittels Entlassungen, Lohndumping und hohen Inflationsraten erreicht. Arbeitslosigkeit sowie prekäre Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen sind die fatalen Folgen, die Kapitalanhäufungen auf Seiten der Konzerne und Aktionäre mit sich bringen. Von positiven Phasen und Steigerungen des Wirtschaftswachstums profitieren die ArbeitgeberInnen und AktieninhaberInnen nicht oder kaum jedoch die ArbeitnehmerInnen.

Soziale Aufstiegsmöglichkeiten werden durch die Zementierung sozialer Ungleichheiten verhindert. Sowohl arbeitsmarktspezifische Möglichkeiten als auch sozialstaatliche Solidarsysteme werden weniger. Gute Ausbildungen werden teurer und garantieren weder einen Arbeitsplatz noch sozialen Aufstieg. Neben klassenspezifischem Habitus, der Sozialisierungsprozesse, Verhaltensweisen und Selbstpräsentationen prägt, erschweren zunehmende soziale Einspar­ungen Aufstiegsmöglichkeiten für Nichtprivilegierte. Die so produzierte Perspektivelosigkeit erfasst breitere Schichten von Jugendlichen. Jegliche Art von Ur-Vertrauen, dass eine gute Ausbildung Basis für spätere Aufstiegsmöglichkeiten bildet, beschränkt sich auf Jugendliche aus wohlhabenden und bürgerlichen Familien. Bei Nichtprivilegierten hat sich eine Art Ur-Misstrauen gebildet, dass das eigene Leben nicht die Strukturen verlassen wird, die durch die Familie vorgegebenen sind. Und es stellt sich sogar die Frage ob es überhaupt noch möglich sein wird, den Status des Vaters oder der Mutter zu erreichen. Dieses relativ neue Phänomen spiegelt die Unfähigkeit wider, sich eine glückliche Zukunft vorzustellen. Die Frage: „Wozu soll ich lernen, wenn ich trotz Ausbildung keinen Arbeitsplatz bekomme?“ bestimmt das Lebensgefühl vieler Jugendlicher. D.h. die Zukunft ist eine Leerstelle, die nicht mehr positiv besetzt werden kann. Mangel an sozialer Aufmerksamkeit seitens der Familie und seitens der Schule vervollständigt das Bild perspektiveloser Zukunftszonen bereits für 14jährige. Extrem dramatisch ist oftmals die Situation für Jugendliche migrantischer Herkunft. Neben sozialen Erschwernissen müssen sie auch noch mit kulturellen Differenzen fertig werden und die schwierige Situation bewältigen als „die anderen“ stigmatisiert zu sein.

Auch die Aussichtslosigkeit von arbeitslosen Eltern wird auf deren Kinder übertragen und in Perspektivelosigkeit potenziert, die sich dann oftmals durch Gewaltaktionen Gehör verschafft. Vorschläge wie die vom Baden Württembergischen Ministerpräsidenten Koch, gewalttätige Jugendliche (gemeint sind Jugendliche migrantischer Herkunft) in Lager zu stecken, setzt auf rechtspopulistische Wahlkampfparolen und Ausgrenzungsstrategien. Neoliberale Politik veranlasst Streichungen von Sozialleistungen und Programmen, die gefährdete Jugendliche unterstützen. Diese gesellschaftspolitisch produzierte Leerstelle verweigert bewusst Zukunftsperspektiven für Nichtprivilegierte, Zukunftsperspektiven, die exklusiv geschlossenen Gesellschaftsschichten vorbehalten werden.

Die Möglichkeiten durch Bildung bessere Lebensbedingungen zu erreichen werden somit erschwert, Bildung als sicherer Aufstiegsmotor hat an Glaubwürdigkeit verloren. Der familiäre Hintergrund rückt als ausschlaggebender Parameter für Ausbildung wieder in den Vordergrund und bildet die Grundlage für gesellschaftliche Elitisierungs­prozesse.

Sichere Arbeitsplätze, Studienplätze und soziale Sicherheit werden somit mehr und mehr zum Privileg der Reichen. Eine Entwicklung, die im Interesse einer wohlhabenden Minderheit agiert, die ihre Territorien abgrenzt und verschließt. Soziale Aufstiegschancen schwinden, Möglichkeiten, dass mittelständische Familien in ärmliche Verhältnisse fallen, steigen permanent. Teilzeitjobs, Leiharbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, unsichere Arbeitsbedingungen oder 40-Stunden Löhne, die oft nicht ausreichen um das Leben zu finanzieren und sich mit dem Nötigsten zu versorgen, sind Realität. Die „Wozu-Frage“ stellt sich auch hier: „Wozu arbeite ich wenn ich von meinem Lohn nicht die Miete bezahlen kann?“ Es wird versucht Billiglöhne und unsichere Arbeitsverhältnisse gesellschaftsfähig zu machen, um diese prekären Arbeitsverhältnisse als normal deklarieren zu können. Dank den politischen Verweisen auf den Mangel an Arbeitsplätzen und auf leere Staatskassen, sowie der Androhung der Industrie auf Standortwechsel, gelingt es, prekäre Arbeitsverhältnisse gesellschaftspolitisch zu etablieren und auch noch als positive Möglichkeit zu verkaufen. Und der Staat zahlt zu, finanziert diese Entwicklung mit.

 

„Anhaltende Massenarbeitslosigkeit hat sich als der wirksamste Hebel zur Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, der Kräfteverhältnisse und der Verteilung von Einkommen und Vermögen erwiesen. Sie ist zwar das soziale und gesellschaftliche Hauptübel, aber für die Unternehmen und eine unternehmensorientierte Politik ist sie von Vorteil, weil sie die neoliberalen Kräfte der Gegenreformation unterstützt. Das offensichtlichste Kennzeichen für den Erfolg dieser Gegenreformation ist die Veränderung der Einkommensverhältnisse und die Zunahme der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit.“*

 

Was bewirken diese Veränderungen innerhalb gesellschaftlicher Systeme? Am anfälligsten sind natürlich die Schwächsten, Jugendliche, MigrantInnen, alleinerziehende Frauen, RentnerInnen und Arbeitslose, da sie entweder zur Kasse gebeten werden oder von gekürzten Sozialleistungen betroffen sind. Perspektivelosigkeit, Überforderungen, Armut und Diskriminierung breiten sich verstärkt aus und münden in einer Forderung nach einer gerechteren sozialen Verteilung. Von Arbeitszeitverkürzung als Entwurf um Neuverteilungstrukturen anzukurbeln spricht keiner, obwohl dies ein entscheidender Faktor wäre um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Als Antwort auf fehlende Sozialpolitik und als alternative Möglichkeiten zum kapitalistischen Markt entstehen Gegenmodelle wie das Grundeinkommen, selbstorganisierte Kooperativen oder Parallelmärkte, die Verteilungssysteme neu strukturieren.

 

* Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2008, Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht, Alternativen zur bedienung der Oberschicht, Kurzfassung, S. 20, Bremen 2008