Soziales, wie denn? – Grundeinkommen und Selbstorganisation

Die Ablehnung des Begriffes Sozial kann vom Zusammenbruch der Sowjetunion nicht getrennt gesehen werden. Paradox erscheint im nach hinein die Angst vor dem Kommunismus, dem angelastet wurde, Besitz zu verstaatlichen. Ein Alptraum im Westen. Der Westen hat für Enteignungsprozesse seine eigenen Strategien entwickelt und die Umverteilung von unten nach oben gelöst. Wie wird Besitz und Kapital verteilt? Wird Großgrundbesitz und Großkapital umstrukturiert? Wie wird Besitz, Vermögen und Kapital in Relation zu Arbeit besteuert, oder werden Niedrigeinkommen noch reduziert um Renditen von Aktionären, Kapitalgewinne und Managergehälter zu erhöhen? Verteilungsmechanismen, die von Finanzeliten konstruiert und gesteuert werden agieren jenseits solidarischer Realitätsprinzipien. Die Reichen werden reicher, die, die kleine Besitztümer haben geraten mehr und mehr in die Gefahr, diese dank neoliberaler Gesetze zu verlieren. Der Mittelstand wird zu Gunsten der Reichen besteuert und muss einen Großteil der staatlichen Leistungen finanzieren. Die Frage der Verteilung und der Wertveranschlagung ist die entscheidende. Wer bezahlt wie viel und wer bekommt was. Ein Verteilungssystem, das Kapital und Besitz bei einigen wenigen akkumuliert und die Mehrheitsgesellschaft ärmer macht, spiegelt eine Kapitalisierung gesellschaftlicher Systeme wider. Das Prinzip der Allmende, der Gemeinnützigkeit, der Solidarität und des Sozialen wird vernachlässigt und abgeschafft, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Die neoliberale Indoktrinierung der Verkürzung und Eliminierung von Sozialleistungen war erfolgreich. Die Frage lautet heute auch nicht mehr, was ist sozial sondern was ist gerecht. Es darf eine gerechte Gesellschaft oder Verteilung der Mittel geben, nicht mehr jedoch eine soziale. Die Diffamierung des Sozialen vertreibt dessen Signifikatsebenen durch die Eliminierung aus den Sprachsystemen.Bedarfsorientierte Grundsicherung oder das Grundeinkommen könnten Modelle sein um Lebensexistenzen zu sichern ohne in Bittstellerpositionen wie bei Hartz 4 zu gelangen, die Gemeinschaft und Solidarwesen, Chancengleichheit und Bildungsmöglichkeiten fördern könnte, etc. Der Verteilungsschlüssel wäre ein anderer. Es gibt mehrere Modelle zum Grundeinkommen, eines würde die anfallenden Kosten durch die Mehrwertsteuer-Einnahmen finanzieren. Das Grundeinkommen ist mit allen seinen möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen noch schwer einschätzbar, jedoch sicher ein interessantes Modell, das dem Faktor Arbeit einen anderen Stellenwert zukommen ließe. Arbeit würde nicht mehr als Mangelware präsentiert werden, sondern als interessengebundenes Objekt, das möglicherweise nicht nur nach dem Leistungsprinzip funktionieren müsste, sondern spielerische, erfinderische Momente beinhalten könnte. Freiräume, in denen Identitäten nicht nur über Arbeit definiert werden, könnten entstehen. Als eine problematische Entwicklung könnte sich allerdings ein damit einhergehender vollkommener Rückzug von staatlicher Seite herauskristallisieren. Das Grundeinkommen könnte als Rechtfertigung für die Streichung sämtlicher Sozialleistungen missbraucht werden und soziale Verpflichtungen könnten undifferenziert durch das Grundeinkommen entsorgt werden. Wenn allerdings gewisse Zusatzförderungen eliminiert werden, könnten Situationen geschaffen werden, die ökonomisch für gewisse Bevölkerungsgruppen von Nachteil sind, abhängig davon, wer wieviel Grundeinkommen bekommen würde. Problematisch wäre ein Modell das mit dem Anspruch antritt alle bisherigen Sozialleistungen abzudecken und dies in realiter nicht gewährleisten kann oder will. Das Prinzip Grundeinkommen ist vom konkreten Entwicklungsmodell und dessen sozialer Ausrichtung abhängig zu machen.Um alternative Möglichkeiten sozialerer Arbeitsformen und gerechterer Lohn-Leistungsverteilung bemühen sich auch selbstorganisierte genossenschaftliche Kooperativen. Solidarische Ökonomien erzielen als alternative Gegenmodelle große Aufmerksamkeiten in Zeiten des Turbokapitalismus neoliberaler Prägung. Ausgehend von immer prekäreren Arbeitsbedingungen werden alternative Formen der Selbstorganisation in Gemeinschaften entwickelt um als Modelle umgesetzt zu werden. Gemeinsam ist genossenschaftlichen Modellen oftmals eine Notsituation aus der sie entstanden sind oder die Vorstellung von einem anderen Leben, das bessere Arbeitsbedingungen und autonome, selbstorganisierte Lebensformen ermöglicht. Extreme Überlebensbedingungen oder sozial geprägte Gesellschaftsvorstellungen, solidarische Ökonomien etc. können Gründe für Bildungen von genossenschaftlichen Verbindungen sein. Durch die Gemeinschaft können Lebensformen und -ziele ermöglicht werden, die für Individuen unerreichbar wären. Die Ausgangslage ist für alle gleich, man teilt sich gewisse Erfahrungen und gewisse Vorstellungen, deren Verwirklichung kollektiv erreicht werden kann. Können Genossenschaften eine Möglichkeit sein um Individualisierungsprozessen der Armut und Prekarisierungsprozessen etwas entgegen zu setzen? Staatlich geförderte Kooperativen und private Kooperativen spiegeln Umverteilungs- und gesellschaftliche Umstrukturierungstendenzen und Wünsche wider, die gegen bestehende Verhältnisse Widerstand anmelden.Soziale Marktmodelle und Selbstorganisationskooperativen setzen Wachstumssteigerungsprogrammen und Kapital­anhäufungen andere Verteilungssysteme entgegen. Voraussetzung dafür scheint eine Positionierung innerhalb eines Solidarsystems zu sein, das nicht nur gerecht sondern sozial sein will. Wirtschaftspolitische Vorraussetzung dafür ist eine Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht.„Eine Neuverteilung von Einkommen stärkt dauerhaft den privaten und öffentlichen Konsum und festigt dadurch den sozialen Zusammenhalt. Niedriglöhne senken die Kaufkraft und wirken sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus. Niedriglöhne sind das Produkt finanzmarktorientiertern Gewinnstrebens. „Eine Neuverteilung der Arbeit kann die Arbeitslosigkeit überwinden und die Fortschritte steigender Produktivität allen Menschen zugute kommen lassen. Arbeitszeitverkürzung könnte als Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit eingesetzt werden und würde sowohl Arbeit als auch die Einkommen neu verteilen. Und eine Neuverteilung von Macht ist notwendig um den Widerstand derer zu überwinden, die als kleine aber mächtige Gruppe von den Zuständen profitieren und neoliberal gegen die Interessen der Mehrheitsgesellschaft agieren.”* In der Ausstellung werden künstlerische Positionen gezeigt, die sich mit Folgewirkungen neoliberaler Politik, wie Armut, Bildungsarmut, Perspektivelosigkeit von Jugendlichen etc. beschäftigen. Weiters wird versucht auf alternative Umverteilungssysteme wie Parallelmärkte, das Grundeinkommen oder selbstorganisierte Kooperativen hinzuweisen und die Frage nach dem Sozialen zu stellen. Welchen Stellenwert repräsentieren Begriffe wie Solidarität, Allmende und soziales Handeln heute im gesellschaftlichen Kontext?

 

* Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2008, Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht, Alternativen zur Bedienung der Oberschicht, Kurzfassung, S. 20, Bremen 2008