Harun Farocki

Nicht ohne Risiko
2004, Video, 50 min

Harun Farocki bezieht sich in seinen Dokumentarfilmen auf Phänomene des Alltagslebens. Er konstruiert ökonomische, politische, historische und ästhetische Referenzsysteme um komplexe Bezugsstrukturen in ihrer Vielschichtigkeit zu analysieren und sie innerhalb eines sozialpolitischen Kontextes sichtbar zu machen.

„Was Venture Capital, kurz VC, deutsch Risiko-Kapital ist, wird im Film selbst erklärt. Banken geben Geld nur gegen Sicherheiten. Wer die nicht hat, muss sich an VC-Gesellschaften wenden, und zahlt dafür 40% Zinsen. Mindestens. Wir hatten bei den verschiedensten Firmen Aufnahmen gemacht, bei VC-Gesellschaften, die Projekte diskutieren, bei Unternehmern, die eine Idee in Form bringen wollen, bei Beratern, die die Präsentation einüben. Dann aber beschränkten wir uns auf eine einzige Verhandlung an nur zwei Tagen. Sie verhandeln, zu welchen Konditionen 750 000 Euro vergeben werden sollen. Nachdem sie sich zunächst nicht einigen können, weichen sie auf ein allgemeines Gespräch über strategische issues aus. Da wird deutlich, dass die NCTE, Hersteller von berührungslosen Drehmoment-Sensoren schon mit grossen Firmen im Gespräch ist. Nochmals kam es zu einer überraschenden Wendung. Man könnte geneigt sein, die Partei des Erfinder-Unternehmers einzunehmen, Arbeit gegen Kapital. Aber auch er will seinen Betrieb in eine paar Jahren zu Geld machen.” (Harun Farocki)

Zwischen den 40% Zinsen, die zu bezahlen sind falls keine Sicherheiten einen „normalen” Kredit ermöglichen und den leicht zu bekommenden Krediten in Amerika, die zum Zusammenbruch des Immobilienmarktes führten, befinden sich auf den ersten Blick Welten. Mit den Bankkrediten wurde in Amerika spekuliert, Gewinne wurden aus der großen Anzahl der gewährten Kredite und deren Weiterverkauf an andere Banken erzielt. Das Risiko wurde auf der Seite der KreditnehmerInnen erhöht indem die Kreditrückzahlungsbedingungen verschlechtert und radikalisiert wurden. Über Kreditverkäufe wurden die Zinssätze erhöht und Rückzahlungsbedingungen verändert, angeglichen an VC-Finanzierungsrichtlinien ohne dass die KreditnehmerInnen jemals diese Bedingungen vereinbart hatten.

Die VC-Gesellschaft sichert sich ihren Kapitaleinsatz durch den hohen Zinssatz und den 20–35% Aktienanteil der um Kapital ansuchenden Firma und verlagert somit das Risiko auf Seiten der Antragsteller. Spekulationsgewinne und ein spekulativer Markt agieren bewusst mit Risiko ohne Rücksicht auf ökonomische Stabilität und auf die Gesellschaft. Folgewirkungen dieser Finanzmarktmethoden sind Stagnation von Wirtschaftswachstum, hohe Inflationsraten, Armut, Entlassungen, Arbeitslosigkeit etc. Firmen werden gekauft, ausgebeutet, Angestellte entlassen, um dann die ausgehöhlten Firmen wieder zu verkaufen.